Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir

Welche Einrichtung hat es eigentlich nötig, dies zu betonen?! Wäre es selbstverständlich, dass schulisches Lernen für „das Leben“ geschieht, brauchte sich ja wohl kein Schüler dies hinter die Ohren schreiben zu lassen!

Welche Einrichtung hat es eigentlich nötig, dies zu betonen?!

Wäre es selbstverständlich, dass schulisches Lernen für „das Leben“ geschieht, brauchte sich ja wohl kein Schüler dies hinter die Ohren schreiben zu lassen!

Der Spruch wird als Erinnerung, als Appell und oft als Mahnung gesagt. Wer zur Schule geht, soll all das, was er dort tut, als Mittel zum Zweck begreifen. Er soll all das tun, was Schule ihm nahe legt – still sitzen, memorieren, reproduzieren, für die Klassenarbeit üben, überlegen, was die Lehrerin wohl hören möchte, wenn sie etwas fragt, das sie selbst doch wissen muss – und sich dabei denken: „Das ist wichtig für später. Das werde ich einmal brauchen. Wie es mir jetzt damit geht, darf mich nicht davon abhalten mich zu fügen und zu büffeln. Ob mich die Sache jetzt interessiert, ob ich sie verstehe, ob sie in sich eine Bedeutung für mich hat, ob ich sie jetzt brauche, das zählt nicht.“

Ist das nicht paradox? Wir sollen als SchülerInnen unser Leben, das Leben, das wir hier und jetzt gerade führen, heraus halten aus dem Lernen! Wir sollen sagen: „Leben – das kommt später; jetzt ist Lernen dran.“ Es ist wie mit dem Schild an der Metzgerei, auf dem ein goldiges Wautzi sitzt und treuherzig sagt „Wir warten draußen!“ Das Leben soll draußen warten. Das Leben hier und jetzt, das uns zum Beispiel durch Unlust, Müdigkeit, Unruhe deutliche Signale sendet, uns bittet, uns etwas anderem zuzuwenden, etwas, das uns – unserem Leben also! – jetzt dient, das jetzt Bedeutung für uns hat. Oder hat Ihr Leben etwa erst mit 16, 18 oder 20 begonnen?

Es ist also genau umgekehrt: In der Schule lernt man für die Schule! Fast jeder kapiert das meist nach wenigen Tagen Schulbesuchs; spätestens am Ende der Grundschulzeit ist klar: Hier geht es um Noten. „Leben“ – das findet draußen statt, am Nachmittag, am Wochenende und vor allem in den Ferien.

Wenn Carina in Mathe aus dem Fenster schaut und fasziniert beobachtet, wie sich Wolken in vielen Schichten am Himmel auftürmen, wie sich blassgraue, weiße, gelbliche, dunkelgraue, langsamere und schnellere Berge, Fetzen und Kugeln verschieben, verformen, vergrößern und wieder auflösen, dann tut sie das, was in ihrem Leben just in diesem Moment Bedeutung hat. Nebenbei lernt sie auch, wahrscheinlich ohne jede Absicht, „zufällig“ also, einiges über Meteorologie, Optik, Perspektive… und auch darüber, wie entspannend so eine Mini-Trance sein kann. Pech für sie?!

Ja – wenn ihre Lehrerin nämlich festgelegt hat, dass Carina genau zu diesem Zeitpunkt eine Textaufgabe lösen soll und dafür eine bestimmter Zeitrahmen vorgesehen ist. Hat Carina diesen Zeitraum „verträumt“, bescheinigt die Schule ihr anschließend einen Misserfolg zumindest in Sachen „Verhalten“. Wenn das Ganze während einer Klassenarbeit passiert, kann es sogar als Misserfolg in Mathe bewertet werden; selbst wenn Carina diese Aufgabe hätte lösen können, da sie das Thema begriffen hat – sie hat es nicht zur rechten, der vorgegebenen, Zeit getan, und das bedeutet nach den Regeln der Schule „Leistung nicht ausreichend“!

So verräterisch ist also eine den alten Römern zugeschrieben Maxime. Das Leben findet außerhalb der Schule statt und lebendige zur Schule gehende Menschen sollen sich so verhalten, als sei es möglich, das Leben draußen zu halten – und gleichzeitig die Lüge schlucken, das sei die beste Vorbereitung auf das Leben! 

Übrigens:

Die Fortsetzung dieses Wahns drückt sich in dem Gedanken der „Work-Life-Balance“ aus. Auch hier verräterisch: Arbeit steht dem Leben gegenüber. Leben wird als Nicht-Arbeit – sogenannte Freizeit – definiert, und Arbeit als Raum, aus dem Leben sich rauszuhalten, dem es sich unterzuordnen hat. Doch das ist ein weiteres Thema.

Bissig könnte ich allerdings sagen: Dann bereitet die Schule also doch auf „das Leben“ vor – auf die Fortsetzung der Spaltung zwischen menschlicher Lebendigkeit einerseits und arbeitendem Beitragen andererseits. Auf die Hintanstellung und Unterdrückung eigener Lebendigkeit und die Anpassung an Anforderungen, die andere stellen. Auf das alltägliche bewertet und verglichen Werden und auf die Abhängigkeit von diesen Rankings.

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